Grüner Montag zur Gesundheitsversorgung der Zukunft

Es war heiß und drückend an diesem Montagabend, und nachdem wir dekoriert, aufgebaut, den Saal bestuhlt und „eingedeckt“ hatten, waren wir doch sehr skeptisch, ob an diesem schwülen Hochsommermontagabend Menschen den Weg nach Vogelsrath finden würden.

Unsere Sorge war unbegründet: die Hälfte aller Plätze war dann doch besetzt, 51 Menschen hatten sich von der Wärme nicht abschrecken lassen und freuten sich nun bei Wassenberg über die gekühlten Getränke. Denn die sind wichtig: Stay hydrated! Was es mit dieser Aufforderung auf sich hat, erfuhren wir im Laufe des Abends.

OV-Sprecher Paul Lentzen begrüßte das Publikum und die ExpertInnen und übergab dann das Mikrophon an unseren Fraktionsgeschäftsführer Jan Vander, der den Abend moderierte.

Meral Thoms: „Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit“

Den Anfang machte Meral Thoms, MDL aus dem Kreis und gesundheitspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion.

Ihr Vortrag stand unter dem Motto „Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit“. Was sie damit meinte, wurde deutlich bei den vier Punkten, die sie als besonders relevant hervorhob:

Prävention – vor allem bei Kindern und Jugendlichen schon von Anfang für eine gesunde Entwicklung sorgen.

Klimaschutz = Gesundheitsschutz – eine bessere Aufklärung in Sachen Klimaschutz und Umgang mit Hitze sei sinnvoll. Diese spezifischen Aspekte müssten dringend in der Ausbildung von haupt- und ehrenamtlichen Helfer*innen eine Rolle spielen. Traurigerweise belegt der Kreis Viersen in der Gesundheitsstudie 2023 der AOK Rheinland/Hamburg den ersten Platz bei den hitzebedingten Krankenhausfällen von Menschen über 65. Hitzeschutzpläne seien ebenfalls ein Thema.

Die hausärztliche Versorgung: 1/3 aller Hausärzt*innen in NRW ist älter als 60 Jahre. Das Land reagiere mit einem Hausärzteaktionsprogramm. 2,5 Milliarden Euro würde man investieren, um die Lage zu verbessern. Es gäbe für unseren Kreis eine Ärzte-Scoutin. Und Meral Thoms deutete an, dass bei MVZ kommunale Trägerschaften von Landesseite sehr unterstützt würden.

Krankenhausplanung NRW – vor allem im ländlichen Bereich solle die Krankenhaus-Versorgung gestärkt werden. Eine möglichst wohnortnahe Versorgung müsse das Ziel sein. Außerdem arbeite man daran, die Finanzierungsmodelle zu ändern und die Berechnung nach Fallpauschalen abzuschaffen, um so Ärzt*innen und Pfleger*innen zu entlasten und den finanziellen Druck für die Krankenhäuser zu senken.

Jens Ernesti: „Wir nicht ohne euch!“

Der Sozialdezernent des Kreises stieg auch mit einem Motto in seinen engagierten und lebhaften Vortrag ein: Wir nicht ohne euch – d.h. wir müssen alle zusammenarbeiten, sonst schaffen wir es nicht.

Die aktuellen Zahlen und auch die Prognosen für die Zukunft ließen ihn durchaus schon mal schlecht schlafen. Heute schon wären in Schwalmtal 30 % aller Menschen über 60 Jahre alt und 1.200 Personen davon seien sogar über 80.

Jens Ernesti stellte etliche Projekte des Kreises vor, die helfen sollen, die Situation zu verbessern.

Im Hinblick auf den Bevölkerungsschutz und den Katastrophenschutz soll ein Safety Campus helfen, schon früh eine hohe Resilienz bei Jugendlichen zu erreichen. Auf dem Campus werden ehrenamtliche und hauptamtliche Helfer*innen ausgebildet: Wie benutze ich einen Feuerlöscher? Wie lösche ich einen Fettbrand? Wie leiste ich Erste Hilfe?

Ein weiteres Projekt sind die mobilen Retter. Professionelle Rettungssanitäter, die sich in ihrer Freizeit noch zusätzlich ehrenamtlich engagieren. Über 600 mobile Retter sind im Kreis Viersen im Notfall rasch zur Stelle – durchschnittliche Eintreffzeit unter 3,5 Minuten!

Über die Kreisleitstelle wusste Jens Ernesti zu berichten, dass sie 49.000 Einsätze im Jahr hatte. Das ist eine enorm hohe Zahl, die viel niedriger sein könnte. Denn leider gäbe es viel zu viele Fälle, in denen Menschen unnötigerweise die Rettung rufen. Sein dringender Appell: man sollte stets hinterfragen, ob das Rufen des Notarztes wirklich nötig ist.

Große Probleme sieht er auch in der Pflege alter Menschen auf uns zukommen. Auch hier läge ein hoher Druck auf dem System. Wir alle gemeinsam könnten helfen, indem wir uns frühzeitig mit dem Thema, mit Vollmachten und Verfügungen beschäftigen.

Das Projekt „Local hero“ soll Studierenden aus dem Medizinbereich zeigen, wie lebenswert der Kreis Viersen ist und welche Chancen sie haben. Ohne Anreize und Informationen käme doch sonst niemand auf die Idee, nach Viersen zu ziehen, wenn man hier keine persönlichen Bindungen hat.

Das Fazit des Sozialdezernenten: „Wir ducken uns nicht weg, wir stellen uns der Herausforderung. Aber wir müssen an der Basis anfangen: Wir nicht ohne euch.“

Dr. Thomas Nieberding: Keeping hydrated!

Thomas begann seinen Vortrag damit, dass er uns erzählte, wie schön es im Urlaub in französischen Chalon sur Saone gewesen sei. Auffallend sei dort gewesen: englische Touristen verabschiedeten sich nicht mit Salut, oder A bientot oder ähnlichem, sondern mit „Keep hydrated“ oder auch „stay hydrated“.

Wie sich herausstellte, stammte dieser Gruß aus einer aktuellen Hitzeschutzkampagne, die darauf abzielt, dass die Menschen ausreichend trinken, also hydriert bleiben. Äußerst passend für diesen grünen Montag.

Die Fakten zur Demografie, die Thomas Nieberding uns mitgebracht hatten, waren nicht dazu geeignet, uns zu beruhigen. Im Gegenteil. Die Menschen werden immer älter, es gibt immer mehr Rentner*innen. und immer weniger Betragszahlende. Die Überalterung lässt gleichzeitig die Kosten für die Gesundheitsversorgung immer weiter ansteigen.

Problematisch sei die geringe Tendenz von Ärzt*innen, sich auf dem Land niederzulassen. Bis 2025 werden wir ca. ein Drittel unserer Ärzt*innen verloren haben. Der Fachkräftemangel sei jedoch nicht allein das Problem. Arbeit im Gesundheitswesen sei nicht sonderlich attraktiv. Nur 20 % der Berufsanfänger bleiben auch in ihrem Job. Die durchschnittliche Verweildauer im Beruf seien nur 16,5 Jahre.

„Immer mehr Senior*innen müssen bei zunehmendem Lebenalter und Zunahme der körperlichen Einschränkungen von immer weniger Ärzten und immer weniger Pflegepersonal mit immer weniger Geld versorgt werden“, fasste Thomas Nieberding die Situation zusammen.

Lösungsvorschläge

  • Schnellere Integration von Fachkräften aus dem Ausland.
  • Niederlassungsbereitschaft schaffen/fördern – Einkaufen, Schulen, Wohnraum, Lebensqualität
  • Arbeitsbedingungen optimieren – Teilzeitangebote, verlässliche Arbeitszeiten, familienfreundlich

Optimale Bedingungen finden junge Ärzt*innen meist nur in besonders engagierten Großpraxen oder in einem MVZ. Wünschenswert ist hier ein kommunales MVZ, damit die Kommune auf Entwicklungen und Entscheidungen Einfluss nehmen kann.

Passend zu Motto des Vorredners: Wir nicht ohne euch – legt auch Thomas Nieberding großen Wert auf die Gemeinsamkeit am runden Tisch und hofft darauf, dass sich alle relevanten Gruppen in Schwalmtal vernetzen und zusammentun. Denn in einem waren sich alle drei Vortragenden einig: Wir können es nur zusammen schaffen.

Das Fazit: Kommunen müssen …

  • die Gesundheitsversorgung als Teil der Daseinsvorsorge und als primäres Handlungsfeld kommunaler Arbeit verstehen.
  • sich als Mitverantwortliche in der Gesundheitsversorgung wahrnehmen.
  • ein lokales Gesundheitsnetz etablieren und moderieren.
  • Maßnahmen zur Sicherung einer adäquaten Basisversorgung ergreifen – wie z.B. ein MVZ in kommunaler Trägerschaft.

Zwischen den einzelnen Vorträgen hatten die Gäste Gelegenheit, Fragen zu stellen oder Anmerkungen zu machen. Das wurde rege genutzt. Themen waren die Krankenhaussituation oder auch die langen Wartezeiten auf Facharzttermine, insbesondere im psychotherapeutischen Bereich. Die Dramatik der Lage in Waldniel brachte Dr. Arens noch einmal zur Sprache: Es gäbe 7,5 Sitze, wovon 6 besetzt seien. Von diesen 6 Hausärzt*innen, sei nur einer unter 60 Jahre, und keiner von ihnen arbeite Vollzeit, so führte er aus.* Gleichzeitig wurde das Beispiel einer Hausarztpraxis in Amern als positives Beispiel genannt. Dort habe man es erfolgreich geschafft, 3 junge Nachwuchsärzte einzustellen.

*Wir haben diesen Satz nachträglich noch deutlicher als eine Äußerung aus dem Publikum formuliert. Und wir haben noch einmal nachgefragt und erfahren, dass sich diese Aussage – insbesondere die zur Vollzeit – nicht statistisch belegen lässt, sondern auf gelebter Erfahrung des MVZ aus Vertretungen und Ausfallzeiten beruht.

Wir danken allen, die trotz der Hitze nach Vogelsrath gekommen waren. Ein besonderes Dankeschön noch einmal an Meral Thoms und Jens Ernesti, und vor allem auch an Thomas Nieberding, der diesen Grünen Montag vorbereitet und organisiert hat. Danke an Jan für die Moderation und an alle Hilfreichen im Hintergrund. Und last, but not least geht unser Dank wie immer auch an die Familie Wassenberg für ihre Gastfreundschaft.

Nach getaner Arbeit.
Zwei Damen auf dem Land auf dem Weg zum Sundowner 🙂